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Eine Handbreit Wasser unterm Kiel

Nach einer intensiven Segelkurswoche erhielt ich zwei recht gegensätzliche Nachrichten von Bekannten:
BS: „Ich wünsche dir wieder festen Boden unter den Füßen!“
EM: „Allzeit gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel.“
Letzterer ist ein für mich bislang neuer und doch nachvollziehbarer Wunsch: Auf scharfkantige Untiefen aufzulaufen, kann beim Segeln verhängnisvoll sein. Mindestens (!) 15 bis 20 cm Wasser unterm Kiel bieten den nötigen Spielraum, der das Boot intakt und die Crew handlungsfähig erhält.

Seit mehr als 1,5 Jahren wirbelt Covid-19 unsere Gesellschaften, Gesundheits-, Wirtschafts-, Bildungs- und Familiensysteme usw. durcheinander. Mit der Hoffnung auf die „Rückkehr zur Normalität“ möchten wir wieder festen Boden unter den Füßen gewinnen: klare Strategien, realisierbare Planungen, Step by Step formuliert und angeordnet, in konsequenter Umsetzung und auf einen längeren Zeithorizont angelegt. Mehr denn je sind allerdings Zweifel angebracht, ob dieses Bild vom „festen Boden unter den Füßen“ für die komplexen Herausforderungen, die diese Welt für uns bereithält und die wir mit einseitig linearem Denken und Handeln hochbrisant und unumkehrbar verschärfen, hilfreich ist.

Stattdessen gilt es meines Erachtens die Kunst des Umgangs mit der "Handbreit Wasser unterm Kiel" einzuüben, der fließenden und kontinuierlichen Bewegung im Zusammenspiel mit all den Kräften, die gerade wirksam werden: stärkende, hinderliche und unbestimmte, unvermutete ... Sie erfordert mutige Lernprozesse, die den Blick auf ein vielfältiges, sich veränderndes Ineinandergreifen und sich gegenseitig Bedingen wagen und im Augenblick der Entscheidung für den nächsten Schritt zwischen Symptomen und Zusammenhängen zu unterscheiden wissen. Sie steht dafür ein, hier und jetzt Spielräume zu verteidigen für jene Momente, in denen es auf Flexibilität und maßgebliche Veränderung ankommt.

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