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Instabilität heißt höchste Sensibilität

"Haben Sie schon einmal überlegt, warum wir auf zwei Beinen laufen und nicht auf drei? Ja, wenn ich drei Beine hätte, wäre ich ganz schön stabil. Aber dann wäre all das aus, was wir Leben nennen.  [...]  Wenn Sie lebendig sein wollen, müssen Sie die Instabilität haben und damit auch die Unsicherheit. Dieses Gefühl ist nicht immer gut, aber es ist dann doch sehr fruchtbar." [1]

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Um eine derartige Leidenschaft für Instabilität zu entwickeln, wie sie der deutsche Physiker und Essayist Hans-Peter Dürr (*1929 † 2014) zum Ausdruck bringt, braucht es wohl lebenslange Erprobung - oder hinreichende Kenntnisse der Quantenphysik. Gemeint ist eine Form von Balancierung, ein fortlaufendes, dynamisches Austarieren von sich anbietenden Extremen unter Einbeziehung vielfältiger Umfeldfaktoren - ohne den Anspruch, diesen Prozess jemals ganz in der Hand zu haben. Dem gegenüber ist ein alltäglicher Balance-Begriff auf Stabilität ausgerichtet, gepaart mit der Vorstellung es gälte möglichst oft oder auf Dauer den idealen Punkt zu finden, in dem alles zur Mitte und zum statischen Ausgleich kommt.

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Die Entscheidung liegt bei jedem/jeder Einzelnen, ob die eigene Orientierung mehr auf eine sensible Instabilität ausgerichtet ist oder auf das Ergebnis eines beharrlichen Strebens nach dem unverrückbaren Absoluten. Entsprechend werden Veränderungen, Begrenzungen und Spielräume als Impuls zu Entfaltung oder aber Bedrohung von bereits Vertrautem eingestuft,  gestalten sich in der Folge die Abschätzung von Risikofaktoren, die Formulierung von Erfolgskriterien und die darauf ausgerichteten Schritte.

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Letztlich ist es eine Entscheidung, wie ich die Welt und meinen Beitrag dazu betrachten möchte:

"Nun, ich stehe auf zwei Beinen ... [die sagen abwechselnd zueinander] 'wenn du fällst, dann gehe ich nach vorne' und 'wenn du fällst dann gehe ich nach vorne' - und jetzt kann ich laufen. Zwei instabile hochsensible Systeme, wenn die miteinander kooperieren [...] dann gibt es einen dynamischen Prozess, eine dynamische Stabilisierung, die mir erlaubt nicht zu fallen und hunderte von Kilometern zu laufen. Jetzt haben wir wirklich die Grundlagen des Lebendigen."[1]

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[1] Hans-Peter Dürr, "Das Pendel", Umwelttage Basel Juni 2009

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