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Das Leben verstehen

Wenn sich so viel im Wandel befindet, stellt sich mehr denn je die Frage nach jenem, das bleibt. Bin das noch ich, ist das noch die mir vertraute Gesellschaft oder vielleicht auch unser Unternehmen mit dem Profil, das mir/uns am Herzen liegt? Wieviel Veränderung gelingt es zu integrieren und wo braucht es Abgrenzung?


Fritjof Capra und Daniel Christian Wahl führen 2023 ein faszinierendes Gespräch und ich bin versucht, ganz kurz vorab meine Kenntnisse hinsichtlich Zellbiologie aufzufrischen: Die Funktion der Zellmembran wird meist mit „Abgrenzung der Zelle gegen die Umgebung“ beschrieben und im nächsten Atemzug mit mindestens 7 verschiedenen Proteintypen (Typen!) ergänzt. Sie öffnen die Zelle für Ionen, Moleküle usw., die sich hinein in die Zelle und nach außen bewegen oder sie mit anderen Zellen verbinden. Wer ein schematisches Bild mit all diesen „Kanälchen“ einer Zellmembran sieht, würde es kaum mehr mit „Abgrenzung“ betiteln.


Zurück zum Gespräch von Fritjof Capra und Daniel Christian Wahl – mit einem aus dem Englischen übersetzten Ausschnitt:

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Fritjof Capra: Regeneration ist der entscheidende Prozess des Lebens. Wenn man sich eine einzelne Zelle ansieht, um das einfachste Beispiel eines lebenden Organismus zu nehmen, dann stellt man fest, dass die Zelle ein Netzwerk von Prozessen ist - in Fachkreisen als Autopoiesis bekannt. [...] Worum geht es dabei? Es geht darum, dass die Zelle sich selbst regeneriert: Sie regeneriert, ersetzt, erneuert jeden Bestandteil. Das zelluläre Netzwerk macht das selbst, es organisiert sich also selbst. Das ist die wesentliche Aktivität des Lebens. Wenn man philosophisch werden will, kann man auch sagen: Das ist der Sinn des Lebens oder der Zweck des Lebens. Welche Begriffe man auch immer verwendet, man erkennt, dass das Leben aufhört, wenn die Regeneration aufhört. Das ist wirklich die Essenz des Lebens, und ich denke, das ist eine wichtige Erkenntnis.


Daniel C. Wahl: Man kann das auch auf der Ebene der Organe sehen, wo sich die Zellen innerhalb eines bestimmten Organs selbst ersetzen [...]. Wir sind nicht mehr derselbe Mensch, der wir vor sechs Jahren waren, wir haben uns seitdem mehrfach regeneriert.


Fritjof Capra: Ja und nein. Wir sind nicht dieselbe Person, aber in einem anderen Sinne sind wir es doch. Denn die Identität hängt nicht von den tatsächlichen materiellen Strukturen ab, die ständig erneuert und regeneriert werden. Die Identität besteht aus den Beziehungsmustern, die ein Lebewesen ausmachen. Es sind die Beziehungen in uns selbst und die Beziehungen zu unserer Umwelt. [...] Ich hätte mich vorher vorstellen können und sagen: ich bin Wissenschaftler und Autor; ich hätte auch sagen können, ich bin Philosoph, […] ich bin Vater oder ich bin Tennisspieler oder ich bin Jazzfan. All das beschreibt mich, und es ist eine Beschreibung in Form von Beziehungen zu anderen Lebewesen, Beziehungen zur Umwelt und natürlich historischen Beziehungen und genetischen Beziehungen zu unseren Vorfahren. Das ist es, was die Identität eines Lebewesens ausmacht. [...] Und dies war auch eine zentrale Botschaft von Gregory Bateson, [...] dass die Sprache der Natur eine Sprache der Beziehungen ist und dass das Verständnis des Lebens bedeutet, Beziehungen zu verstehen.

 

https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=MiUGKfJV5E0 17.03.2023

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